Energie­wende schon zu Ende?

erschienen im Greenpeace Blog am 31.01.2013

Umweltminister Altmaier überraschte jüngst mit einem neuen Vorstoß: Die durch die Energiewende gestiegenen Strompreise für Haushalte sollten begrenzt und der Ausbau erneuerbarer Energien notfalls deutlich verlangsamt werden. Die meisten Kommentatoren waren sich schnell einig: Die Chancen auf eine Umsetzung vor der nächsten Bundestagswahl sind ziemlich gering. Daher dürfte der Vorstoß eher in die Kategorie Wahlkampfmanöver fallen. Dennoch zeigt er, auf welchen wackligen Beinen die Energiewende inzwischen steht.

Energiewende zu ende Nicht einmal zwei Jahre ist es her, dass nach dem Unglück in Fukushima die Energie­wende verkündet wurde. Der end­gültige Ausstieg aus der Kern­energie, ein effektiver Klimaschutz und das Zeitalter der erneuerbaren Energien waren nun Regierungsziel. Bei näherem Hinsehen ist die Bilanz der Energiewende allerdings bislang mehr als mager. Betrachtet man den gesamten Primärenergieverbrauch in Deutschland, deckten erneuerbare Energien im Jahr 2012 gerade einmal knapp zwölf Prozent des Bedarfs. Acht Prozent kamen von der Kernenergie, die anderen 80 Prozent von fossilen Energieträgern wie Erdöl, Kohle oder Erdgas. In anderen Worten: Es fehlen noch 88 Prozent der Energiewende.

Deutsche Bundesregierungen spielen dennoch auf internationaler Bühne gerne die Retter des Klimas. Altmaier und alle seine Vorgänger haben sich stets medienwirksam zum 2-Grad-Ziel bekannt. Um die Folgen des Klimawandels in gerade noch vertretbaren Grenzen zu halten, soll nach Empfehlung der Klimaforscher die globale Erwärmung auf zwei Grad Celsius begrenzt werden. Ein Grad Erwärmung haben wir schon. Möchten wir neben dem Kernenergieausstieg auch das Klima ernsthaft schützen, müssten erneuerbare Energien noch vor 2050 den gesamten Energieverbrauch decken. Ein Konzept hierfür gibt es trotz aller Lippenbekenntnisse zum Klimaschutz bislang immer noch nicht.

Im Wärmebereich reicht das Umbautempo nicht einmal ansatzweise aus. Die Effizienzanforderungen für Neubauten sind seit Jahren nicht ausreichend, die Sanierungsrate um den Faktor vier zu niedrig und der Einsatz erneuerbarer Energien nur dank der Biomasse gerade einmal bei knapp über mageren zehn Prozent. Im Verkehrsbereich sieht es noch düsterer aus. Effiziente Elektroautos werden in den nächsten Jahren sicher nicht massenhaft in den Markt drängen und die Daumenschrauben zum Spritsparen bei altherkömmlichen Verbrennungsmotoren wurden auf Drängen der Automobilindustrie erst gar nicht angezogen.

Spötter deuten die peinlichen Verzögerungen beim Berlin-Brandenburger-Großflughafen als größten Beitrag zur Treibhausgasreduktion im Verkehrsbereich. Andere Ideen, die Kohlendioxidemissionen beim Luft- oder Seeverkehr spürbar zu senken, gibt es praktisch nicht.

Nur in einem Bereich ging die Energiewende bislang mit zügigem Tempo voran – dem Elektrizitätsbereich. Rund 22 Prozent des Stroms wurden 2012 bereits durch erneuerbare Energien gedeckt. Der wesentliche Motor war dabei vor allem der dynamische Ausbau der Windenergie und der Photovoltaik. Genau in diesem Bereich soll nun die Notbremse gezogen werden. Da der Ausbau angeblich für die Allgemeinheit zu teuer wird, soll er künftig nur noch im Schneckentempo erfolgen. Ein Deckel soll die EEG-Umlagekosten des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) durch Neubauten begrenzen.

Investieren die großen Energiekonzerne kräftig in die ohnehin schon mit besonders hohen Vergütungen bedachten Offshore-Windparks gibt es dann womöglich kein Geld mehr zur Förderung neuer privater Solaranlagen. Wer künftig ohne jegliche Förderung eine Solaranlage errichtet, soll zudem mit einer Umlage belastet werden. In anderen Bereichen würde man dies schlicht eine Strafsteuer nennen. Damit soll angeblich der Tatsache begegnet werden, dass der Strom für alle teurer wird, wenn immer mehr Leute eine Solaranlage errichten und damit weniger Strom von ihren Versorgern kaufen.

Genauso könnte man aber eine Nahverkehrsumlage auf Fahrräder oder eine Einzelhandelsumlage für den Anbau von Tomaten im eigenen Garten oder auf dem eignen Balkon fordern. Auch eine Mario-Barth-Umlage auf TV-Geräte wäre zu überlegen, schließlich entsolidarisieren sich Mario-Barth-TV-Zuschauer von den Besuchern der teuren Live-Shows. Während die eigene Tomate und das eigene Fahrrad wohl weiterhin toleriert werden dürften und auch Mario Barth nicht mit politischer Unterstützung rechnen kann, bedrohen eigene Solaranlagen aber zunehmend eine einflussreiche Lobbygruppe: Die großen Energiekonzerne.

Durch den schnellen Ausbau privater Wind- und Solaranlagen haben die großen Stromkonzerne in den letzten Jahren deutlich an Marktanteilen verloren. Sie hatten noch bis vor kurzem auf neue fossile Kraftwerke gesetzt, die nun durch die schnell steigende erneuerbare Konkurrenz immer weniger Profit abwerfen. Während erneuerbare Energien im Bundesdurchschnitt 22 Prozent des Strombedarfs decken, liegt der Anteil bei einigen großen Versorgern nur bei etwa 5 Prozent. Geht der Ausbau bei der Windkraft und der Photovoltaik in unvermindertem Tempo weiter, würden zahlreiche klimaschädliche Kohlekraftwerke in den nächsten Jahren schlichtweg unrentabel. Diese Bedrohung hat man inzwischen erkannt, und versucht durch geschickte Lobbyarbeit Sand ins Getriebe der erneuerbaren Energien zu streuen. Inzwischen offenbar mit zunehmendem Erfolg.

Als Argument gegen einen schnellen Ausbau erneuerbarer Energien hat man inzwischen die steigenden Strompreise entdeckt. Dabei mutet es schon befremdlich an, wenn sich der gutverdienende Vorstandsvorsitzende eines großen Energiekonzerns öffentlich Sorgen um die Stromrechnungen von Hartz-IV-Empfängern macht. Auch die Politik bläst inzwischen fest in das gleiche Horn. Nun rächt sich, dass man nach Fukushima nicht mit offenen Karten gespielt hat. Eine Energiewende wurde verkündet, die kaum Mehrkosten verursachen sollte. Dabei versteht auch jeder Nichtbetriebswirt, dass erst einmal investiert werden muss, wenn ein neues System aufgebaut werden soll.

Als man in den 1970er- und 1980er-Jahren die Kernenergie in Deutschland ausbaute, führte das damals auch zu steigenden Strompreisen. Seriöse Berechnungen von zahlreichen Forschungsinstituten zeigen, dass bei einer ambitionierten Energiewende zwar anfänglich die Preise steigen, sich mittelfristig aber stabilisieren und langfristig sogar wieder sinken.

Volkswirtschaftlich bietet die Energiewende sogar enorme Vorteile, mit denen wir Steuergelder an andere Stelle sparen können. Für die meisten in Deutschland wird Strom trotz einer schnellen Energiewende und trotz steigender Strompreise weiter bezahlbar bleiben. Für alle anderen muss man Wege des sozialen Ausgleichs finden. Statt darüber zu reden, erhebt die Regierung sogar noch dreist 19 Prozent Mehrwertsteuer auf die EEG-Umlage und beklagt sich dann über die zu hohen Strompreise, die sie zumindest anteilig selbst mit verursacht hat.

Die wenig planvolle Energiepolitik der Bundesregierung hat in den letzten Monaten bereits zahlreiche, teils mit viel Geld bezuschusste Solar- und Windkraftunternehmen in die Insolvenz getrieben. Weitere Unternehmen könnten folgen. Wir drohen leichtfertig die Technologieführerschaft an China zu verlieren. Doch diesen Preis ist die Regierung offensichtlich bereit zu zahlen, um den Ausbau erneuerbarer Energien zu drosseln und so die Geschäftsmodelle der großen Stromkonzerne zu schützen.

Keiner der Regierungen der letzten 20 Jahre ist es gelungen, eine Energiewende mit ausreichendem Tempo für den Klimaschutz auf ein solides Fundament zu stellen und auch jetzt wird wieder kräftig am wackeligen Fundament gerüttelt. Es bleibt aber zu hoffen, dass der Altmaier-Vorstoß bei den Bürgerinnen und Bürgern wieder mal eine Schlussverkaufsstimmung auslösen wird und sie bis zur Bundestagswahl erneut einen Rekord bei der Errichtung neuer Solar- und Windkraftanlagen aufstellen. Nur so kann die Rechnung der Energiekonzerne nicht aufgehen, die Energiewende auszubremsen und die Konkurrenz von erneuerbaren Energien durch Abgaben und Umlagen zu unterbinden.

Wir haben es in der Hand, eine echte Energiewende gegen Konzerninteressen durchzusetzen. Möglicherweise überzeugen wir damit auch die künftige Bundesregierung, endlich eine ernst gemeinte Energiewende ins Leben zu rufen und so die Lebensgrundlagen künftiger Generationen zu schützen. Wie gesagt, 88 Prozent der Energiewende stehen noch aus. Nun auch noch das Tempo rauszunehmen ist sicher nicht die richtige Strategie.

Volker Quaschning

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